Nied – er – Leben
Über unseren Wohnort, in dem man lebt, den man erlebt hat, eine Aussage zu treffen, erfordert nicht nur einen gemeinschaftlichen Spaziergang mit offenen Augen, es wird zugleich ein zeitlicher Rückblick erforderlich.
Unser Nied, im Jahre 1218 erstmals Urkundlich erwähnt, hatte mit seiner Ansiedlung am Main und Nidda für die Landwirtschaft und den Fischfang beste Voraussetzungen.
Mit der zunehmenden Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts veränderte sich die örtliche Struktur. Infolge der Zuwanderung existenzsuchender Familien aus Franken und Bayern wuchs die Wohnbevölkerung rasch an. Nur wenige wissen noch heute, dass die Häuserreihen entlang der Mainzer Landstraße (Frankfurter Chaussee) den vielen Wohnungssuchenden dienten. Aus den familiären Bauernhäusern entstanden Mehrfamilienhäuser und gaben den in die Industrieregion strömenden Menschen neue Heimat.
War die Gelatine-Fabrik (1869-1903) eine erste grössere Produktionsstätte Nieds, so wurde mit der Inbetriebnahme des Dampflok Ausbesserungswerkes am 8. Januar 1918 eine weitere Arbeitsstätte mit rd. 500 Beschäftigten an der Oeserstraße erstellt. Am Ende des zweiten Weltkrieges waren 2000 Werktätige im Dienst der Reichsbahn.
“Wohnen am Werk” vollzog sich mit der 1920 errichteten Eisenbahnersiedlung. Ihr besonderer Baustil gab Veranlassung, dass sie unter Denkmalschutz gestellt wurde. in den 50er Jahren und nachfolgend entstanden weitere Wohneinheiten in westlicher Ausdehnung. Das Areal des Lokwerkes südlich der Oeserstraße gelegen, hatte eine Grundfläche von 148 000 qm. Die fortschreitende Elektrifizierung des Bahnbetriebes führte zur Stilllegung des Dampflokwerkes am 31.12.1967. Nach langer Zeitspanne begann man mit dem Abriss der Werkhallen und Anlagen. Heute ist diese Fläche mit Mehrfamilienhäusern bebaut.
Was man trotzt vermehrter Bebauung anerkennen muss, zeigt sich auch in Nied-Ost und Süd gleichermaßen: eine Vielzahl von Stauden und Bäumen lockern die Wohnbereiche auf und zeigen sich mit ihren vielfältigen Blüten und Früchten als eine farbenprächtige Palette in unserem Alltag.
Die natürlichen Gemarkungsgrenzen Main, Lachegraben, Nidda und Sulzbach liegen in natürlichen, teilweise wildromantischen Auen. An den Ufern und Altarmen der Flüsse leben eine Vielzahl seltener Wasservögel, die sich wieder bei uns heimisch fühlen und uns erfreuen. Bei Spaziergängen durch den Niedwald, mit seinem Wasserschutzgebiet und dem Selzerbrunnen, entlang der Mainaue über die Wörthspitze, sind erlebnisreiche Eindrücke zu gewinnen. Das Schwanenpaar mit seinen Jungen, die Graureiher am Flussufer auf Beute spähend, die Pferde an den Koppeln des Georgshofes fesseln Alt und Jung mit ihrem oftmals übermütigem Galoppieren.
In Nied leben und erleben, dazu gibt das halbe Hundert an Vereinen mit den vielfältigen Angeboten Jedermann/frau Gelegenheit. Unsere Vereine stehen in freundschaftlicher, kooperativer Verbindung zueinander. Gleichfalls gibt es bewährte Gemeinsamkeiten der Kirchengemeinden innerhalb der Aktivitäten des Vereinsrings.
Die Nieder Bürgerinnen und Bürger feiern gerne ihre traditionellen Feste (Beunehofsingen, Stadtteilfest, Weihnachtsmarkt) denen Leben als Quell der Begegnung entspringt. Bei diesen Festen mit Freunden und Bekannten kann die ganze Geschichte ihrer Gemeinsamkeit lebendig werden.
Sicher ist in unserem Stadtteil noch manches in Nöten. Konstruktive Kritik und Anregungen helfen da weiter, Lösungen zu finden. Mein Urteil für unser Nied fällt mir nach diesen Betrachtungen nicht schwer: trotz aller städtebaulicher Entwicklung, trotz erheblicher Zuwächse an individuellem Verkehr, hat sich unser Nied viele Flächen als Oasen der Ruhe und Erholsamkeit bewahrt. Dafür können wir dankbar sein, aber auch bewusst und verantwortlich dafür eintreten, diese Natürlichkeit zu erhalten und weiterzureichen.
Erich Bay